Digitalstrategien der Mode-, Automobil- und Möbelindustrie

Lectra-Themendienst März 2019

Aktuelles: Umfrage zu Digitalstrategien

Lectra hat Textil und Leder verarbeitende Unternehmen aus der Mode-, Automobil- und Möbelindustrie in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu ihren Digitalisierungs-Strategien befragt. Das Ergebnis: Über zwei Drittel der Unternehmen besitzen mittlerweile eine Digitalstrategie, zentral oder in einzelnen Unternehmensbereichen. Auch sind Personen im Management definiert, die für diese Strategie verantwortlich zeichnen. Doch nur 23 Prozent der Befragten verfügen über einen eigenen Digitalisierungs-Beauftragten im Management. Bei 77 Prozent der Unternehmen haben verschiedene Führungskräfte die Rolle zusätzlich übernommen oder es gibt noch niemanden, der mit dem Thema beauftragt ist.

Umsetzung der Digitalstrategien steht noch aus

Bei der Umsetzung der Digitalstrategien sehen die meisten Unternehmen Nachholbedarf: 68 Prozent schätzen den Stand der Digitalisierung als wenig bis durchschnittlich entwickelt ein. Als größte Hürden nennen die Befragten fehlende Zeit im Alltagsgeschäft, fehlende Verfügbarkeit von Standardlösungen und finanzielle Mittel.

Radikale Auswirkungen der Digitalisierung

Weitgehend einig sind sich die Umfrageteilnehmer bei den radikalen Auswirkungen der Digitalisierung. 82 Prozent meinen, dass digitale Vorreiter und Innovatoren Nachzügler aus dem Markt verdrängen werden. 68 Prozent sind sich sicher, dass sich das Geschäftsmodell ihres Unternehmens in Zukunft verändert. Und ebenfalls über zwei Drittel der Befragten glauben, dass die Digitalisierung die Existenz ihres Unternehmens gefährdet.

Potenzial bei Entwicklung und Fertigung

Das größte Potenzial für Digitalisierung sehen die Textil und Leder verarbeitenden Unternehmen im ersten Teil der Wertschöpfungskette, bei Design und Produktentwicklung (36 Prozent) sowie in der Fertigung (27 Prozent). Vertrieb und E-Commerce (18 Prozent) sowie Betriebliche Organisation (9 Prozent) wurden weniger stark gewichtet.


Markt & Meinung: Ein Portrait: Der Chief Digital Officer

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Prozess tiefgreifender Umwälzungen. Der digitale Wandel, noch vor wenigen Jahren als Angelegenheit von High Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley oder aus der „New Economy“ angesehen, hat sich längst zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für fast alle Industrien entwickelt. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre Prozesse und Geschäftsmodelle den neuen Gegebenheiten anzupassen. Doch wer treibt den Wandel in den Organisationen voran?

„Auf der Management-Ebene haben bereits viele erkannt, dass es für eine erfolgreiche Digitalisierung eine echte Digitalisierungsstrategie und Verantwortliche in der Führungsebene braucht“, sagt Holger Max-Lang, Geschäftsführer Lectra Deutschland. Wie eine Umfrage von Lectra zeigt (siehe Aktuelles), haben über zwei Drittel der Unternehmen mittlerweile eine Digitalstrategie. Gleichzeitig haben nur 23 Prozent der Befragten einen eigenen Digitalisierungs-Beauftragten im Management definiert.

Das Mindset ist entscheidend: CDOs müssen Menschen für Themen begeistern, die sie bisher nicht kennen.

Anders ist dies etwa bei Textilunternehmen wie der s.Oliver Group und bugatti oder dem Automobilzulieferer Bosch, die mittlerweile eine eigene Stelle für die Digitalisierung geschaffen haben: den Chief Digital Officer. Laut einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin beschäftigen Unternehmen mit größerem Umsatzvolumen eher einen CDO, als diejenigen mit einem geringeren Umsatz. So findet sich die Position lediglich in vier Prozent aller MDax-Unternehmen, aber immerhin in 40 Prozent der Dax-Konzerne. Diese Digital-Strategen, oft auch „Chief Transformation Officer“ oder „Director Digital Business“ genannt, sollen die Transformation planen, managen und begleiten – oft als Teil der Unternehmensführung. Die Anforderungen sind meist noch sehr undifferenziert und dadurch überdimensioniert. Gleichzeitig stehen jedoch wenig Personal oder Budgetmittel zur Verfügung. Selbst wenn es einen CDO gibt, gehen Unternehmen die Transformation oft noch „zu halbherzig” an, kommentieren die Studienautoren des MobileVision „CDO Agenda Survey 2018“. 74 Prozent der befragten Chief Digital Officer geben darin an, ihre Rolle und ihre Verantwortlichkeiten seien nicht vollständig geklärt und verstanden. Der CDO läuft Gefahr, von der eierlegenden Wollmilchsau zum zahnlosen Tiger zu werden.

Der CDO schafft sich selbst ab

Immer wieder wird diskutiert, ob es die Stelle des CDO überhaupt braucht und ob sie sich nicht sogar mittelfristig selbst abschaffen. Davon sind die Interviewpartner für eine Studie der Personal- und Managementberatung Kienbaum überzeugt. „Der CDO ist nicht für die Ewigkeit“, meint etwa Sport-Scheck-CDO Jan Kegelberg. Seine Begründung: „Wir werden so digital sein und so vernetzt denken und arbeiten müssen, dass in fünf oder spätestens zehn Jahren alle Führungspersonen digital denken müssen.“ Elke Katz, CDO bei ratiopharm, sagt: „Wenn wir unseren Job gut machen, gibt es uns nicht mehr.“ Bezeichnend dafür ist das Aus der Computermesse Cebit. Heute sei die Digitalisierung bei nahezu allen Branchenfachmessen das beherrschende Thema, begründeten die Veranstalter die Entscheidung.

Als Inspiration und Beschleuniger der digitalen Transformation gaben CDOs in der Studie an, häufig mit Startups zu kooperieren. Rund drei Viertel der befragten Unternehmen arbeiten mit Start-ups zusammen, sind finanziell an ihnen beteiligt oder entwickeln sogar neue Produkte und Dienstleistungen mit diesen. Die Aufgabe des CDOs ist es, das Bindeglied zwischen dem digitalen Ökosystem und der Bestandsorganisation zu sein.

Studie der Personal- und Managementberatung Kienbaum.

„CDOs stehen für neue Technologien und die kontinuierliche Weiterentwicklung des Unternehmens. Das entbindet aber alle anderen Führungskräfte nicht davon, selbst Know-how zu erwerben und die Digitalisierung voranzutreiben. Tempo ist dabei mittlerweile ein Erfolgsfaktor“, sagt Holger Max-Lang von Lectra. Lectra hat dieses Jahr mit Kubix Lab selbst ein Startup übernommen, um das digitale Angebot weiter auszubauen. Seit 2016 hat das Unternehmen mit Véronique Zoccoletto die Stelle als Chief Transformation Officer besetzt. Also bestens gerüstet, um alles zu digitalisieren, was sinnvoll digitalisiert werden kann.


Interview mit Florian Hein: „Jeder kann digitale Transformation“

Florian Hein ist Geschäftsführer von #openspace, Digitalisierungspartner des Mittelstands. Für alle Phasen der digitalen Transformation bietet die Commerzbank-Tochter #openspace unterschiedliche und maßgeschneiderte Lösungen an. Im Zentrum stehen dabei vielschichtige Workshop-Formate. Unternehmen erarbeiten darin ihr individuelles Rüstzeug, um im Anschluss zu digitalisieren.

Lectra: Herr Hein, was ist die größte Hürde für Mittelständler bei der digitalen Transformation?

Florian Hein, Geschäftsführer der Commerzbank-Tochter #openspace.

FH: Ganz einfach: Der erste Schritt. Der Mittelstand tut sich sehr schwer mit dem Thema Digitalisierung, da es als riesiger Berg erscheint. Schon der Begriff an sich ist derart breit gefächert, dass darunter alles verstanden wird. In den Gesprächen erleben wir die Furcht loszulaufen, allein weil es in eine falsche Richtung gehen könnte.L

Lectra: Einer muss also vorangehen?

FH: Ja, und das ist ganz klar der Chef. Wenn die Führungsmannschaft das Thema nicht bis in der letzten Faser ihres Körpers als Chance versteht und mit Plan vorantreiben will, wird das niemals im Unternehmen ankommen. Das Wollen ist das Wichtige dabei, um seine Mitarbeiter zu überzeugen. Und Digitalisierung kann nur zusammen mit dem Menschen gelingen. Die verschiedenen Technologien sind da, wir fliegen schon lange zum Mond, aber ohne Menschen ist es dort recht einsam.

Lectra: Sie kennen sowohl die Welt der Konzerne als auch der kleinen Mittelständler. Wie unterscheiden sich diese bei der Digitalisierung?

FH: Die Großen sind tatsächlich bereits sehr weit. Das hilft ihnen aber nur bedingt. Analysieren sie nämlich ihre Wertschöpfungsketten, stellen sie fest, dass hier noch großer Nachholbedarf besteht. Bei kleinen Mittelständlern fehlt neben dem Verständnis für Digitalisierung häufig das Personal, etwa in den IT-Abteilungen, und auch die Investitionen müssen wohl überlegt sein. Wenn sich Mittelständler aber dem Thema öffnen, ergeben sich häufig fantastische Ansätze, nicht nur einzelne Prozesse, sondern ganze Geschäftsmodelle neu zu entwickeln. Ein weiterer zentraler Unterschied ist die Entscheidungs- und Umsetzungsgeschwindigkeit. Wir sind immer wieder erstaunt, wie schnell Veränderungen in mittelständischen Unternehmen umgesetzt werden können.

Lectra: Wie kann die Umsetzung konkret gelingen?

FH: Unser Ansatz ist es, die Verantwortlichen zuallererst vorübergehend aus dem Tagesgeschäft herauszuholen und konzentriert in Workshops an diesen Themen zu arbeiten. Was bedeutet Digitalisierung konkret für mein Unternehmen? Im Anschluss kommen Mitarbeiter etwa aus der IT, dem Vertrieb oder Lager zu uns, um die Vision bis zu einem Produkt weiter zu entwickeln. Wir sehen unseren Ansatz dabei als Hilfe zur Selbsthilfe. Haben wir unseren Job richtig gemacht, können die Unternehmen anschließend ihre digitale Transformation aus eigener Kraft umsetzen.

Lectra: Jedes Unternehmen muss also seinen eigenen Weg finden?

FH: Auf jeden Fall. Aber niemand ist auf diesem Weg alleine. Auch wir bringen unsere Mittelständler mit unserem Ökosystem aus Startups, IT-Umsetzern oder Anwälten für Patentthemen zusammen. Darüber hinaus gibt es Förderprogramme für Digitalisierungsmaßnahmen. Obwohl diese oft zu große bürokratische Hürden bereithalten. Hier würde ich mir noch mehr Unterstützung seitens der Politik wünschen. In den öffentlichen Aussagen und bei den konkreten Maßnahmen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hein.

Den gesamten Themendienst zum Download als PDF.

Comments are closed